Vor 500 Jahren erblickte der Innsbrucker Diözesanpatron Petrus Canisius das Licht der Welt. Zum Jubiläum lädt ein in acht Kirchen zwischen Innsbruck und Hall gestalteter Ausstellungsparcours zur Auseinandersetzung mit sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen ein. Acht – aus den Schriften von Petrus Canisius – für die Ausstellung ausgewählte Schwerpunkthemen echoen mit den rund 50 künstlerischen Arbeiten nationaler und internationaler KünstlerInnen. Nationalsozialismus, Flüchtlingskatastrophen und Fake News werden dabei ebenso thematisiert wie Freundschaft oder das Ende der Menschheit. Gewichtige Themen! Die Kulturfüchsin wollte es genauer wissen und hat bei dem Kurator und Konzeptionisten der Ausstellung, Hubert Salden – Experte für die Praxis der Kunst in ihrem Wechselverhältnis zu den Kultur- und Gesellschaftswissenschaften – nachgefragt. Ein Gespräch über Kirche und Kunst heute, fehlende Orte der Erinnerung, Bilderflut und natürlich die Apokalypse.

Herr Salden, der Parcours ist anlässlich des 500. Geburtstages von Petrus Canisius entstanden. Wie vertraut waren Sie im Vorfeld mit seinem Schaffen? Wie vertraut sind die Österreicher generell mit seinem Wirken?

Ich komme aus dem Mittelrheingebiet. Einer Region, in der Canisius als Student unterwegs war. Er hat sich in der Gegend unter anderem mit Peter Faber getroffen – mit dem er auch befreundet war. Canisius wurde hier zum ersten deutschsprachigen Jesuiten. Später wurde er im süddeutschen, böhmischen und österreichischen Raum tätig. Die Idee etwas zu Canisius zu machen kam mir vor sieben Jahren. Ich habe mir damals jene acht Kapitel ausgedacht, die bei der aktuellen Ausstellung umgesetzt wurden. Petrus Canisius ist zwar der Patron der Innsbrucker Diözese, aber quasi ein Unbekannter für viele Leute. Im Vorfeld der Ausstellung musste ich viele Menschen mit Zitaten beziehungsweise Anekdoten an die Handlungsweise von Canisius heranführen. Gerne erzähle ich: wenn einer bei Canisius beichtete, dass er als Wucherer den Menschen zu viel Geld abgeknöpft oder sie an den Bettelstab gebracht hatte, dann verweigerte Canisius ihm die Absolution, schickte ihn weg und verlangte, dass er sein Verhalten korrigiere, ehe er wieder zu ihm zur Beichte komme.

Welche Gelegenheit bot das Jubiläum für Sie neue Aspekte und Blickwinkel zu erschließen?

Mir wurde während der Beschäftigung zum Jubiläum vor allem klar, wie stark sich innerhalb der letzten 25 Jahre die Blickwinkel auf Canisius in Kirche und Gesellschaft verschoben haben: Sein 400. Todestag wurde noch groß mit einem Festakt in der Frankfurter Paulskirche gefeiert und eine Festschrift der Reden unter dem Titel „Petrus Canisius, der Humanist und Europäer“ herausgebracht. Sein 500. Geburtstag in diesem Jahr hingegen ist beinahe sang- und klanglos verstrichen. In Fribourg in der Schweiz wurde ein größerer Gottesdienst am Sonntag vor seinem Geburtstag begangen, zu der der Innsbrucker Bischof eingeladen war, zu predigen. Die Ausstellung ist eine Ausnahme, zu der sich außer dem Bischof und mir bis dato keiner bekennt. Leider ist die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit kaum auf die künstlerischen Netzwerke ausgerichtet und diese wohl eher reserviert, was in den acht Orten passiert, obwohl sich darunter weltberühmte Werke von Mark Wallinger, Berlinde De Bruyckere und Franz Erhard Walther befinden, die niemals so zu sehen gewesen wären.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem von Bischof Glettler initiierten Projekt? Gab es bereits gemeinsame Projekte?

Als Bischof Glettler zu einem Gespräch einlud, erzählte ich ihm, dass ich bereits bei seinem Vorgänger zum Diözesanjubiläum eine Ausstellung über Canisius eingereicht hatte, aber nie eine Rückmeldung erhalten habe. Bischof Glettler schaute sich das Konzept an und beauftragte mich, es umzusetzen. Er hat in Graz als Priester jeweils einen Künstler oder eine Künstlerin eingeladen, eine Intervention zu machen. Ich mache allerdings keine Intervention. Ich lege es darauf an, einen vertieften geistigen Flow in den gesamten Kirchenraum zu bringen, indem die zeitgenössischen Werke die klassischen, bereits vorhandenen Strukturen aufnehmen und weiterführen. Ich arbeite mit der Atmosphäre des Gesamtraums, in dem das Gegebene mit dem Hinzugefügten etwas Weiteres ergibt.

Viele Jahrhunderte waren Kirchen auch Kunsträume für zeitgenössisches Kunstschaffen. Die Kirche trat als Förderer von Künstlern in Erscheinung und war für neue Stilrichtungen maßgebend. Generell sieht man seit Jahren wieder mehr moderne Kunst in Kirchen – zumeist, Sie haben es zuvor angesprochen, in Form von Interventionen. Welche Rolle kann und will man heute als Kirchenhaus im Bereich der (zeitgenössischen) Kunst spielen?

In den Texten des II. Vatikanischen Konzils ist die aktive Rolle im Kunstdiskurs, dem kulturellen, philosophischen, sozialpolitischen Diskurs festgeschrieben. Aber die Rezipienten der Texte gehen da leider nicht entsprechend aktiv vor. Ich weiß nicht, ob die Kirche im Bereich der (zeitgenössischen) Kunst eine Rolle spielen kann und will. Der Anspruch besteht gemäß der Konzilstexte, aber die konkreten Entscheidungen hinken beträchtlich hinterher. Bischof Glettler ist eine Ausnahme, aber er kommt vom praktisch Künstlerischen her, während ich auch das theoretisch Künstlerische gemeinsam mit dem praktisch Künstlerischen zusammen als unverzichtbar ansehe. So komme ich mit Vorschlägen, die erst einmal fremd erscheinen mögen. Es ist auf jeden Fall außergewöhnlich, dass ein Bischof einer Ausstellung in diesem Umfang zustimmt – eine groß angelegte Werkschau, wo Kunst und Religion ins Gespräch kommen können. Das hat mit den sonstigen Sachen, die die Kirche macht, nichts zu tun. Es wäre schön, wenn die Kunst genauso dotiert wird wie in den Jahrhunderten davor. Aber heutzutage sind die Diazösen blank wie so etwas aufzuziehen ist. Auch diese Ausstellung hat mit allen Kinderkrankheiten zu tun wenn es um Kirche und Kunst geht. Papst Pius XII. war einer der letzten der eine Kunstausstellung im großen Stil gemacht hat. Er hat 1958 mit über 50 Werken eine Manifesta der Weltkunst auf christliche Hinblicke organisiert. Papst Johannes XXIII. ist zumindest noch regelmäßig auf die Biennale in Venedig gegangen. Paul der VI. war der letzte der mit Philosophen und Künstlern aktiv das Gespräch gesucht hat. Johannes Paul II. hat dann alles Heruntergefahren und der Kunst keine Rolle mehr zugestanden. Unter diesen Umständen hatte es Benedikt nach ihm schwer. Was er gemacht hat – er hat den Dialog sehr stark mit der Musik gesucht, jenes Metier, das ihm am nächsten war. Die Ausbildung der Priester und Bischöfe im Bezug auf die Kunst ist sehr ins Hintertreffen geraten. Beim deutschen Katholikentag, und das ist sicher einmalig, wird alle zehn Jahre von den deutschen Bischöfen ein Ausstellung für den Gropius Bau beauftragt. Die findet allerdings in einem Museum statt. Die Ausstellung „Gebt mir Bilder“ zeigt Kunst in acht verschiedenen Kirchen. Das ist etwas völlig anderes.

Welche Themen haben sich für die Ausstellung herauskristallisiert?

Die Christologie – damit meine ich seine Publikationen, seine Predigten, seine Seelsorge und sein soziales Engagement, das heißt die Hilfe für die Armen und Gefangenen im Gefängnis, aber auch sein gesellschaftliches Engagement zum Beispiel gegen die Auswüchse des Kapitalismus. Als weiteres Thema wäre der Blick auf das Kreuz zu nennen – christliche Inhalte, seine Katechismen, die Lehre der Kirche – und sein Lob der Freundschaft. Gerade in seinen Briefen lässt sich sehr gut seine Verbundenheit mit den Menschen erkennen. Es gibt von Canisius den Ausspruch: „ich bin allen alles geworden“ – das drückt für mich sein jenseits alles Standesdenkens aus. Er war bereit überall hinzugehen, wo gerade Not am Mann war. Er hat immer den Boden vorbereitet und gesät, es war für ihn ohne Problem, dass die, die nach ihm kamen, die Blüten sahen und die Früchte ernten konnten.

War es schwierig eine Brücke zwischen den Gedanken von Canisius und den zeitgenössischen Kunstwerken zu schlagen? Für die Ausstellung haben Sie bewusst österreichische und internationale KünstlerInnen ausgewählt. Warum?

Es wurden bewusst die derzeit bekanntesten und herausragendsten Werke zu den Themen ausgewählt, die auch die Themen von Petrus Canisius sind. In meiner Arbeit spielt es keine Rolle, ob die Werke von österreichischen oder internationalen KünstlerInnen stammen. Die besten Arbeiten sind uns zur Verfügung gestellt worden. Ich habe den KünstlerInnen das Projekt vorgestellt, und sie fanden es interessant etwas zu Canisius beizutragen – zum Teil sind die Werke extra für die Ausstellung entstanden, beispielsweise von Guillaume Bruère, SUSI POP und Herbert Hamak. Wichtig ist, die Arbeit muss qualitätsvoll sein, dann ist sie auch eine solide Brücke zu Canisius und zu uns. Wenn ich einen Grundgedanken umsetzen möchte, dann fällt mir auch die entsprechende Arbeit dazu ein. Die Arbeit illustriert nicht, sie gibt ein Echo.

Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit des Kuratierens wenn man für eine Ausstellung im kirchlichen Rahmen kuratiert? Ich denke hier vor allem an den kontemplativen Aspekt, der in einem Kirchenraum vermutlich mehr als im Museum gegeben ist?

Die meisten der acht Orte sind Kirchen im „regulären Betrieb“. Es ist mir wichtig, das vorhandene Ausstattungsprogramm des Kirchenraums zu befragen, ob es eine zeitgenössische Position einlädt, „mitzumachen“. Ich schaue, wo es sinnvolle räumliche Übergänge gibt, sodass es auch vom liturgischen Ablauf passt. Ich versuche, dass das Kunstwerk nicht zu einem Stolperstein wird, sondern das Anliegen von Canisius und der vorhandenen Architektur und Ausstattung aufnimmt und vertieft. Die Skulptur „Ecce Homo“ von Mark Wallinger musste beispielsweise dort stehen, wo sie heute im Dom steht. Vorhanden war die Büste von Canisius am rechten Seitenaltar. Da weist Canisius ins Kirchenschiff. Genau in der Verlängerung seiner Hand, wohin er weist, habe ich die Skulptur von Wallinger gestellt. Canisius weist auf Jesus als den Gefangenen vor Pilatus, der dann sagen wird: „Was ist Wahrheit?“ Die Figur ist so von mir gestellt, dass die Gläubigen die gefesselten Hände sehen – als Mittäter dieser Gefangennahme. Das Gesicht Jesu ist auf den Priester am Altar gerichtet. Damit der Priester nicht vergisst, dass es nicht um ihn, sondern um Jesus am Altar geht.

In der Skulptur von Berlinde De Bruyckere „V.Eema“ sehen wir eine Frau, die Wolldecken über dem Kopf gezogen hat. Zu sehen sind nur die nackten Waden und Füße auf der Zinkwanne – ein Bild, das für Verletzlichkeit, der Trauer, des Missbrauchs, der Scham stehen soll. Warum wurde die Skulptur gerade in der Waldaufkapelle aufgestellt?

Das hat vor allem auch mit der Geschichte des Ortes zu tun. Die Kapelle wird so für fünf Monate zum Gedenkort für die schutzbefohlenen Menschen, die von den Handlangern des NS-Regimes in Hall im Rahmen des Euthanasie-Programms in den sicheren Tod nach Hartheim transportiert wurden oder in jeglicher Form der wilden Euthanasie ermordet wurden. In Hall ist keiner bereit für ein Mahnmal, deshalb soll die Skulptur von Berlinde De Bruycker dies erfüllen. Canisius verteidigte die Würde des Menschen, egal ob Freund oder Feind. In der Konsequenz handelte er so, dass er auch seinen Gegnern und Widersachern immer sachlich, freundlich und zuvorkommende entgegentrat – und das in einem Jahrhundert, in dem die Polemik, die Fake News und Gewalttätigkeiten gegen Andersdenkende an der Tagesordnung gewesen sind.

Kurznachrichten, die auf einen persönlich zugeschnitten werden, kurze Videos für kurze Aufmerksamkeitspannen usw. sind heute gang und gäbe. Was können wir noch heute von Canisius lernen? Und vor allem viel wichtiger: inwieweit sind die Menschen überhaupt noch bereit oder fähig sich auf längere Diskurse einzulassen und ihre soziale von Algorithmen konstruierte Blase zu verlassen?

Für Canisius ist die Frage, ob wir uns bilden wollen und uns bilden können, Voraussetzung dafür, verantwortlich, konsequent, vernünftig zu handeln. In der derzeitigen Situation beschwören viele den Gedanken, es gäbe keine Alternative zu unserem Hedonismus. Mir liegt daran, die Alternative von Canisius bildlich umzusetzen. Jene, für die es ansprechend ist, steigen ein. Sie sollten Bilder sehen, die ihnen eine Stärkung im eigenständigen Denken und Fühlen ermöglichen. Jene, die keine Kraft oder keinen Willen aufbringen wollen, werden wenig Verständnis aufbringen und darüber hinweg surfen.

Der Titel des Ausstellungsparcours lautet: „Gebt mir Bilder? Da drängt sich natürlich die Frage auf: wie viele Bilder brauchen wir in unserer von Bildern überfluteten Welt? Brauchen wir andere Bilder?

Der Titel hat etwas von Verlegenheit. Es sollte das Bild im Titel vorkommen. Canisius war sein Leben lang ein Büchersammler für die von ihm gegründeten Schulen. Er verlangte aber auch Bilder für die Schulräume und Aufenthaltsräume der Schulen und Kollegien. Ein konkretes Bild, von dem wir wissen, ist das Bild der drei Mal wundertätigen Muttergottes in Ingolstadt. Er forderte es von seinem Ordensgeneral Franz von Borgia, der es ihm aus Rom für Ingolstadt schickte.
Wenn wir uns mit Bildern beschäftigen wollen, fangen wir am besten mit einem Bild an, das uns etwas bedeutet, bringen es in Kontakt mit unserer persönlichen Innenwelt und stärken diese Innenwelt mit diesem Bild. Wenn wir dies verstehen, dann fügt sich ein weiteres Bild hinzu. Was wir brauchen sind qualitativ gute Bilder. Weil die Rezipienten anders rezipieren, verstehen sie dann die Bilder. Nicht die Bilder müssen andere werden. Die Betrachtenden müssen in die Lage gebracht werden oder sich selbst in die Lage bringen, zu sehen, warum das Bild gut ist, für einen selbst oder für mehrere Menschen. Die Bilderflut in den Medien ist ein Ikonoklasmus, ein Bildersturm, der die Bedeutung der Bilder zerstören will. Die Flut der bedeutungslosen Bilder erzeugt manipulierbare Konsumenten. Das ist gewünscht, wie Bernard Stiegler in seinem Suhrkamp-Bändchen, Die Logik der Sorge, schreibt: die Wirtschaft und Politik fördere die Infantilisierung der Bevölkerungen in Europa.

Wir müssen also in diesem Bilddickicht wieder Sehen lernen . . .

Das Sehen ist zu lernen wie wir das Sprechen, wie wir das Hören gelernt haben und alle andere Sinneswahrnehmungen. Die Kunst besteht aus komplexen, vielschichtigen Sinneszusammenhängen. Sie steht nicht im Regal des Supermarkts. Im Gegenteil, die Wirtschaft bemüht sich, die Kunst als Luxus-Gut für die Superreichen, als Ware zu interpretieren. Es ist ein ideologischer Kampf gegen die Kunst und ihre Produzenten, die KünstlerInnen.

Inwieweit kann Kunst überhaupt die Masse bilden ohne zum Spektakel zu verkommen?

Es gibt eine Psychologie des Individuums und eine davon unterschiedene Psychologie der Masse. Wenn wir diese Unterscheidung aufgeben, ist die Bildung des Individuums, insbesondere die Herzensbildung vernichtet. Die Masse wird instruiert, eingeübt, auf Funktionen eingearbeitet, das Individuum kann gebildet werden und sich bilden, um unvorhergesehene Anforderungen im Leben bewusst, eigenständig und verantwortlich zu meistern. In diesem Sinne ist Canisius unterwegs gewesen. Er gab als Student die Schriften von Tauler heraus, der ein Schüler von Meister Eckart war, der das Wort Bildung in die deutsche Sprache eingeführt hat.

Hat Kunst für Sie eine gesellschaftspolitische Verpflichtung, muss wachsam sein oder darf sie auch einfach mal l’art pour l’art sein?

Das hängt vom jeweiligen Kontext der Kunst ab. Es gibt Räume, in denen sie sich gesellschaftspolitisch verhält, es gibt Räume, in denen sie sich als säkulares Werk auch sakral verhält. Es gibt Räume, in der die Kunst l’art pour l’art sein kann, beispielsweise in Salons, Avantgarde-Zirkeln, dem White Cube. Der White Cube hat versucht, die Kontexte und ihre Unterschiede soweit es geht zu verwischen. Diese Vereinheitlichung versucht im Sinne des White Cube auch das Museum zu veranstalten. Aber trotz dieses Vorhaben, keine Unterschiede zuzulassen, greift Kunst darüber hinaus und kann sich jeweils in einer unberechenbaren Weise mit anderen Kontexten verbinden, verbünden – vom White Cube und Museum stark abweichen.

Ich würde gerne nochmals zurückkommen auf ihren Verweis auf die Verbrechen des Nationalsozialismus. Wir verweisen heute gerne auf die Verbrechen des Nationalsozialismus, während wir vor den heutigen (Flüchtlings-)Tragödien wegschauen. Da ist doch irgendetwas gewaltig in Schieflage…

Es ist zwar ein Verweis auf die Verbrechen damals, aber es fehlt die Scham, die Verantwortung, die Einbeziehung der damals Getöteten in unsere Gesellschaft heute. Dadurch, dass dies mit den Ermordeten von damals nicht geschah, bleibt die Unfruchtbarkeit oder Unfähigkeit zu trauern der Grund der Unfähigkeit zu helfen in den heutigen Tragödien. Die verhärteten Herzen gegenüber damals sind ebenso verhärtet gegenüber der Situation heute. Die Anforderung von damals entspricht der Anforderung von heute. Es wird beiden Anforderungen nicht genüge getan, was eine unfruchtbare Situation zur Folge hat, in der die Demokratie im Lande hochgradig gefährdet ist.

Auch die Gewalt an Frauen ist im Steigen. Gleichzeitig werden Gelder für Hilfseinrichtungen gekürzt. Auch an „Me Too“ muss man im Rahmen der Fellner-Debatte natürlich die letzten Tage wieder vermehrt denken. Es sind auch einige Künstlerinnen in der Ausstellung vertreten. Gerade auch das bereits vorhin erwähnte Werk von De Bruyckere könnte man auf diese Debatten hin lesen. War Ihnen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Künstler und Künstlerinnen wichtig?

Ausgewogen ist es aus meiner Sicht dann, wenn die bestimmenden Positionen der Aussagen der Ausstellung mit beiden Geschlechtern zum Ausdruck gebracht werden. Auf der weiblichen Seite zwei Skulpturen von De Bruyckere, auf der männlichen Seite eine Skulptur von Mark Wallinger und eine Bodenarbeit von Franz Erhard Walther. Das sind zugleich die internationalen Highlights der Ausstellung.

Die Ausstellung bietet reichlich Stoff zum Nachdenken und Debattieren. Gibt es ein vermittelndes Begleitprogramm in Form von beispielsweise Diskussionsveranstaltungen, Begleitbroschüren, …?

Ich mache freitags, samstags, sonntags Führungen. Diskussionen, Begleitbroschüren müssten von einer Gruppe von Leuten gemacht werden, die ich auf weiter Flur nicht entdecken kann. Es wäre förderlich und die Ausstellung würde es hergeben, aber die Bereitschaft zur Zusammenarbeit oder Mitarbeit ist mehr als gering von allen Seiten. Selbst die Kirchenrektoren machen einen Bogen um mich, um nicht mit mir über die Ausstellung reden zu müssen – sie wollen business as usual beibehalten, nicht gestört werden.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Pfarrern?

Den meisten war es gleichgültig beziehungsweise zum Teil wurden auch Forderungen von mir, was die Wirkung der Kunstwerke anbelangt, nicht umgesetzt. Nicht geklappt hat die Aufstellung von zwei Bienenstöcken, da sich zeitlich alles so verzögert hat, dass die Bienen zum Zeitpunkt der Übersiedlung schon ausgeflogen sind und der Stock von daher seinen Standort nicht mehr wechseln konnte. Sehr unterstützt hat mich der Pfarrer von Hall. Er hat sehr stark bei der Adaptierung des Kirchenraums mitgeholfen. Dort ist unter anderem auch ein Video von Clare Langan zu sehen.

Sie meinen Clare Langans „The Floating World“. Es ist eine Arbeit nachdem der Mensch verschwunden ist. Sie haben geschrieben, sie haben diese Arbeit für hier ausgewählt, da an diesem Ort zur atomaren Apokalypse gearbeitet wurde. Wie hat sich Canisius zu diesem Thema geäußert und inwieweit ist die Beschäftigung mit dem Tod für Sie auch eine Beschäftigung mit dem Leben?

Es sind alle die Äußerungen von Canisius gemeint, in denen er seine Mitmenschen dazu auffordert, die Konsequenzen ihres Handelns zu bedenken; in denen er sich zugunsten eines Schutzes der Schöpfung ausspricht; in denen er die Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber Gott und den Menschen beschwört. Es geht hier auch um das Wissen darum, was es bedeutet, endlich zu sein. Endlich zu sein ist die Voraussetzung dafür, in freier Weise wichtige Entscheidungen zu treffen. Die Begrenztheit von Zeit macht die getroffenen Entscheidungen wichtig, weil sie nicht ewig durchgespielt werden können, sondern einmal getroffen werden. Dadurch nimmt ein Leben eine unverkennbare eigene, unverwechselbare Gestalt an. Canisius selbst hat im letzten Jahr seines Lebens an alle Freunde, Verwandte, Menschen, die erkrankt waren, Menschen in den Schulen, die er gegründet hat, Briefe geschrieben, in denen er jedem einzelnen dankt für das gemeinsam Erfahrene, in denen er sich an ein gemeinsames Erlebnis erinnert, in denen er ihnen das Allerbeste für das künftige Leben, das sie noch vor sich haben, wünscht, in denen er bittet, im Gebet sich seiner zu erinnern, in denen er einen Rat oder eine Idee speziell für diese Person vermittelt. Er konnte abschließen, es nehmen, wie es kam und seine Verbundenheit mit seinen Lieben betonen.

Herr Salden, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben für unser Gespräch!
Danke auch!

Gebt mir Bilder.
8. Mai bis zum 30. September 2021
an acht Orten in Innsbruck und Hall in Tirol
www.dibk.at

Geschrieben von Sandra Schäfer